Im Gespräch über…

…Johann Sebastian Bach

« Bach selber ist ein Gott »
Henryk Szeryng

Auszüge aus Interviews aus den Jahren 1982 und 1987

Johann Sebastian Bachs Werk ist eine Bibel. Bach ist das höchste Ziel, das wo alles beginnt und alles endet. Seine Musik bringt Sie Ihrem eigenen Geiste näher, sie hilft Ihnen sogar, Ihren eigenen Geist und Ihre Seele zu analysieren. Sie ist von einer unglaublich heiteren Gemütsruhe. Wenn man der Meinung ist, dass ein Chor oder ein Adagio, oder eine Kantilene dieses Wunder vollbringt, so würde ich sagen, dass selbst schnelle Sätze, wie ein Presto oder ein schnelles Allegro uns dazu bringen, uns fröhlicher, sicherer und optimistischer zu fühlen.
Seine Persönlichkeit strahlt eine stille Kraft aus und gibt Ihnen das Gefühl der Sicherheit. Sie brauchen Bach nicht zu suchen, Bach findet Sie.
Bach vertritt ein sehr breites Band der Menschheit, einfach nur Menschen, in Demut vor Gott und der Schöpfung.
Eine Bach Fuge ist der recht knifflige Weg mit vielen verschiedenen Stimmen in eine verzauberte Welt. Das Hauptthema geht immer wieder wohlbehalten aus Konflikten oder sehr oft auch Dissonanzen hervor. Bachs Harmonien sind unglaublich mutig, sehr seiner Zeit voraus.
Bachs Musik kann auch als didaktisches Element dienen.
Eine Behandlung mit Bach ist sehr nützlich für Künstler, Musiker, Schauspieler und für Jedermann.
Wenn es mir nicht danach ist Tonleitern zu spielen, gibt ein Bach Allegro oder eine Fuge oder sogar ein Presto in langsamerem Tempo gespielt, meinen Fingern die nötige Kraft, Beweglichkeit und Festigkeit und meinem Bogen die Flexibilität. Wenn man ein Bach Allegro langsam spielt, hat man alle Chancen der Welt, dass die Muskeln warm werden und man in einer besseren Lage ist, jedes beliebige Werk zu interpretieren.
Alle zwei bis drei Jahre komme ich zurück zu Bach und versuche, seine Werke neu zu durchdenken und einzustudieren und herauszufinden, ob das was ich denke richtig oder falsch ist.
Der Urtext ist die Basis für alles, was ich tue wenn ich Werke von Bach spiele. Die Frage ist, wie man der Wahrheit am nächsten kommt, doch muss man dabei bedenken, dass das Instrument auf dem man spielt nicht genau dasselbe ist wie die zu Zeiten Bachs. Heutzutage sind die Saiten dicker, das Bogenhaar viel stärker, der Steg viel höher. Und man spielt nicht etwa nur in einer kleinen Kapelle, sondern in Konzertsälen, wo man vielleicht Bachs Solo Sonaten und Partiten für 3.000 Zuhörer spielt. Man muss sich daher anpassen.
Der Verlag Schott & Söhne Mainz bat mich 1968, Bachs Solo Sonaten und Partiten neu zu bearbeiten. Ich sollte die Fingersätze und Bogenstriche nieder schreiben, die ich selbst benutze. Das war nicht so leicht, denn ich wollte mich dabei so weit wie möglich an das Original halten, welches aber nicht immer zuverlässig ist. Manchmal muss man Kompromisse finden, aber wenn man es im Dienste der Musik tut, ist dagegen nichts einzuwenden. Man muss die Grenzen der Spreizmöglichkeit der linken Hand im Auge behalten und die vierstimmigen Akkorde, die man mit einem modernen Bogen kaum gleichzeitig spielen kann. Man kann dem nahe kommen, wenn die Technik der rechten Hand ausreichend entwickelt ist. Normalerweise hat man schon das Gefühl etwas Großes geleistet zu haben, wenn man drei Noten auf drei verschiedenen Saiten ordentlich zusammen spielt, was heißt ohne für die Ohren unangenehme Nebengeräusche.

Da ich selbst so getreu dem Manuskript spiele wie menschlich eben möglich, habe ich meine Interpretation noch einmal durchdacht bevor ich niederschrieb, was ich wirklich tue. Ich wollte gewisse sehr ausgefallene Fingersätze und Bogenstriche rechtfertigen weil ich dachte, dass die Leser, die jungen Studenten ein Recht auf Erklärung haben.

Ich glaubte, es in zwei Jahren schaffen zu können. Es hat fast sieben Jahre gedauert, bis alle Korrekturabzüge 1985 fertig waren.

…Carl Flesch

Auszug aus einem Interview von Paul Treuthardt, 1987

H.S.Ich habe bei Carl Flesch vier Jahre lang studiert, zwischen 1928 und 1932. Im Herbst, Winter und Frühjahr fand der Unterricht in Berlin statt, im Sommer dagegen in Baden-Baden, wo er einen Wohnsitz hatte. Mit mir studierten bei Flesch damals unter anderem Arrigo Pellicia aus Italien, Roman Totenberg aus Polen, Henri Temianka, Josef Wolfsthal (er wurde später erster Konzertmeister der Berliner Philharmoniker und Professor an der Berliner Hochschule), Max Rostal, Ginette Neveu, Ida Haendel und Ricardo Odnoposoff.
Mit einem so bedeutenden Lehrer zu studieren, hinterlässt bei jedem jungen Schüler einen nachhaltigen Eindruck. Man bekommt von ihm nicht nur viele gute Ratschläge, sondern man lernt auch alleine schon durch das Zuhören, wenn seine wirklich ausgezeichneten Studenten vorspielen.

Es war typisch für Flesch, seine Kurse auf eine ganz eigenartige Weise abzuhalten. Ob es an der Hochschule in Berlin oder in Baden-Baden war, wir bekamen nie Einzelunterricht. Wir alle, die wir mit ihm studieren wollten, mussten uns darin fügen, unseren Unterricht in Gegenwart von mindestens 20 anderen Teilnehmern zu bekommen. Das schuf sofort eine Art Konzertsaal Atmosphäre. Ein neues Stück in Angriff zu nehmen, für das man gerade erst die Fingersätze und Bogenstriche erarbeitet hatte, weckte unter diesen Bedingungen ein besonders starkes Gefühl der Verantwortung und natürlich auch eine ziemliche Nervosität.

Flesch hatte einen ungeheuren Sinn für Humor, besonders auf Kosten der Studenten. Ich glaube nicht, dass er es sehr schätzte, wenn ein Anderer Sinn für Humor auf seine eigene Kosten an den Tag legte. Ich habe es einige Male versucht, war aber (rechtzeitig) vorsichtig genug, um es nicht zu einem Streit kommen zu lassen. Obwohl ich sagen muss, dass wir manchmal nicht übereinstimmten…

Sie könnten mich jetzt fragen, wie ich es als junger Teenager überhaupt wagte, mit einem Meister in seinen späten Fünfzigern nicht derselben Meinung zu sein. Der Grund dafür ist, dass ich, als ich sehr jung war auch sehr geradeheraus redete. Ich sagte ohne Umschweife, wenn mir ein vom Lehrer vorgeschlagener Fingersatz nicht gefiel und fragte, ob wir es nicht anders machen könnten. Hier war Flesch im Konflikt mit sich selbst. Einerseits wollte er, dass Studenten beim Einstudieren eines neuen Werkes erst einmal ihre eigenen Fingersätze ausprobierten. Seine Eigenen würde er ihnen dann später geben. Auch sollte es nicht von Belang sein, wenn Tempi oder Nuancen vom Schüler anders empfunden wurden.

Das war alles sehr gut und vielversprechend, bis die Stunde der Wahrheit kam. Denn am Schluss war er gar nicht zufrieden, wenn die Studenten seine Fingersätze, Bogenstriche oder Interpretation zu vermeiden suchten.

Ich glaube jedoch, dass er es gut meinte.

Er sprach ausführlich darüber, wie der Lehrer seinen Schüler nicht beeinflussen sollte, wie sehr er sich darum bemühen müsse, dessen persönliche Freiheit zu bewahren. Gewiss solle er Mängel oder falsche Einstellungen korrigieren, dabei aber sehr behutsam und in Grenzen vorgehen, damit die Persönlichkeit des Schülers erhalten bleibe. Ich bin der Meinung, dies waren schöne Gedanken und Konzepte und stimme heute mit ihnen vollkommen überein.
Das Einzige war nur, dass er selbst seine eigenen Ideen nicht immer beherzigte... Man konnte sich nie immer ganz sicher sein.

P.T.Aus welchem Grund war er dann ein so bedeutender Lehrer?

H.S.Ich denke zunächst einmal war er der Erste, der von Leopold Mozart, Schradiek, Sevcik und Kreutzer all das Gute nahm. Er nahm das Beste an Übungen, an technischen Studien, nahm das Beste von Allem was eindeutig dazu beiträgt, z.B. die Finger der linken Hand zu entwickeln, ihnen Geschwindigkeit zu geben unabhängig von Fingersätzen und Lagenwechseln bis hinauf in die höchsten Lagen. Für die rechte Hand nahm er auch alles, was er finden konnte und fügte dem noch einige äußerst wertvolle Übungen für den rechten Arm hinzu. Der rechte Arm ist Lunge und Pedal des Geigers. Mit dem Bogen atmen und singen wir, mit ihm gestalten wir die Phrasierung.
Flesch war auch der Erste, der sich nicht mit ungefähren Angaben über Geigentechnik begnügte. Er analysierte sie gründlich und peinlich genau und überließ nichts dem Zufall. Sein zweibändiges Werk "Die Kunst des Violinspiels" ist zweifelsohne ein Meisterwerk und ein Meilenstein. Es ist so vollständig, dass kein anderes Werk den Vergleich mit ihm aufnehmen kann.
Ich glaube kaum, dass es jemals ein Werk über das Geigenspiel gegeben hat, das so viel Gewicht hatte, so viel Wissen und so viel Analytik. Auch in literarischer Beziehung sticht es heraus mit vielen Diskussionen über Stilrichtungen und Komponisten. Dazu gibt es überaus hilfreiche Ratschläge was man tun soll, damit sich der Nachbar nicht beklagt, wenn man Geige spielt, oder was man nach einem Konzert trinken soll, damit man gut schläft, ohne sich eine Alkoholvergiftung zuzuziehen. Seine Spezialität war Weißwein gemischt mit Mineralwasser; dies ist natürlich nicht allgemeingültig.

P.T.War er eigentlich selbst ein großer Geiger?

H.S.Er war auch ein großer Geiger. Sein Spiel war ausgezeichnet, sicher, perfekt. Wann immer er sein Instrument aufnahm und einem Schüler nach dessen Vortrag ein Werk zur Verdeutlichung seiner vorangegangenen Bemerkungen vorspielte, würde man gesagt haben, dass er dies mindestens eine oder zwei Wochen lang geübt hatte. Das gehörte zu seiner Größe.
Aber… er hatte ein langsames Vibrato und empfahl ein schnelles. Er war sehr gegen zu viel Gleiten, benutzte es aber selbst, wenn er spielte. Flesch war eine hochinteressante Persönlichkeit, voller Widersprüche. Als er in den ersten Jahren dieses Jahrhunderts und während des I. Weltkrieges eine große Karriere machte, war sein Spiel laut Augen- und Ohrenzeugen eher sehr virtuos, fast zigeunerhaft. Sein Repertoire umfasste das Konzert von Ernst, das fis-Moll Konzert von Wieniawski und natürlich das erste Paganini Konzert. Also diese Art extravagantes Repertoire, zu dem auch die Zigeunerweisen von Sarasate oder ungarische Musik gehörten (Flesch war gebürtiger Ungar). Sein virtuoses Spiel war höchst erfolgreich und brillant.
Erst als er sich dazu entschied, mehr von seiner Zeit dem Unterrichten zu widmen wurde deutlich, dass seine große Liebe und Hingabe Bach, Mozart, Beethoven und Brahms gehörte.

P.T.Wenn Sie sagen, das Sie sich nicht immer genau an seine Fingersätze halten, bedeutet dies, dass sie eher etwas Allgemeingültiges haben?

H.S.Unbedingt. Flesch beschäftigte sich sehr mit der Geige und der eigentlichen Funktion der linken und rechten Hand. Seine Logik war unwiderlegbar; mit seinem sehr kultivierten Verstand hatte er eine ausgeprägte Neigung dafür, Fingersatzprobleme mathematisch und logisch zu lösen.

P.T.War das neu, oder wurde das vorher schon so getan?

H.S.Nein, das war absolut neu. Schauen Sie, wir wissen nicht, welche Fingersätze Paganini benutzte; in Anbetracht des Resultates müssen sie sensationell gewesen sein. Ich würde es nicht einmal wagen, die Vortrefflichkeit seiner Fingersätze in Frage zu stellen. Dann aber hat man viele Jahrzehnte lang bequeme Fingersätze benutzt und die halbe Lage oder die zweite und vierte Lage vermieden. Die Bequemlichkeit der ersten und dritten Lage war die Regel. Flesch hörte damit auf. Für mich hat er die Weisheit und Wissenschaft der Fingersätze in den Dienst der Musik gestellt.

P.T.Haben Andere diese mathematische Einstellung weiter verfolgt?

H.S.Ja sicher, ich glaube wir folgen ihr alle. In vieler Hinsicht war Flesch ein großer Innovator.
Er war der Auffassung, dass ein Schüler mindestens einen ganzen Satz eines Werkes, sei es Sonate oder Konzert - ein ziemlicher Brocken -, ohne Pause durchspielen sollte. Er hielt nichts davon, den Schüler abzulenken, es lag ihm fern, sie oder ihn noch nervöser zu machen, als er es ohnehin schon war. Er dachte, dass eine Unterbrechung der Kontinuität und der Gesamtbedeutung des Werkes nur schaden könnte. Das war sehr angenehm.
Während der Schüler spielte, machte er sich sehr schnell Notizen in ihm eigenen Zeichen; es war fast so etwas wie Kurzschrift, aber auch hier wieder auf eine Art, die sehr leicht zu erklären und sehr logisch war! Anschließend analysierte er zusammen mit dem Schüler in Gegenwart aller Mitschüler was er zu kritisieren hatte.
Gewöhnlich lief das so ab: wenn das Vorspiel ausgezeichnet war, würde er sagen: Ich denke, dass war eine ausgezeichnete Leistung. Anschließend aber würde er sein Lob zunichte machen, indem er alle Fehler und Mängel aufzählte. Aber um ehrlich zu sein, muss ich sagen, dass er gerecht war. Es gab Studenten, die er gerne hatte, andere liebte er. Er war einfach nur menschlich. Ohne Zögern kann ich sagen, dass er einer der größten Pädagogen aller Zeiten war. Wann immer es um analytisches Denken geht ist es wahrscheinlich unmöglich, Flesch zu übertreffen.
Wir respektierten ihn, wir fürchteten ihn etwas, aber Keiner von uns hätte je sein überlegenes Können als Lehrer in Frage gestellt.
Von Flesch habe ich das Handwerk des Geigers gelernt und wie ich auf eine klare Art und Weise mithilfe der Technik meine Ideen ausdrücken kann.


…die Geige

Auszüge aus Interviews 1982 und 1987

Die Geige wird mit Sanftmut und Güte behandelt, aber auch mit Eleganz.
Die Geige sollte nicht wie eine Trompete klingen, sondern wie eine Geige. Natürlich braucht man ein großes Klangvolumen, doch sollte es niemals die Schönheit des Klanges beeinträchtigen. Wenn ich wählen müsste zwischen einem kleineren schönen Ton und einem größeren, eher rauen Ton, würde ich sicher auf den größeren Ton verzichten.
Ein großer Ton ist etwas sehr Schönes, doch nicht wenn er auf Kosten der Qualität entsteht. Tonqualität ist Sensitivität, das ist das A und O. Man kann Noten sehr schön spielen - aber wenn man den Zuhörern dabei keinen Genuss vermittelt, keinerlei Gemütsbewegung, Ergriffenheit oder Rührung, dann ist man sehr wahrscheinlich kein guter Missionar von "Frau Musica" gewesen.
Es ist nicht die Frage, ob man Jemanden, der Beethoven liebt dazu bekehrt, Bach mehr zu lieben. Die Frage ist, wie man Wärme und wahre menschliche Leidenschaften und Gefühle eben jenem Zuhörer übermittelt, der einem gerade zuschaut und zuhört.

Um ein guter Zuhörer zu sein, muss man nicht unbedingt ein Musiker, Musikwissenschaftler oder ein großer Kenner sein. Alles was man braucht ist ein offenes Herz und ein offener Geist.

Besonders in einem sehr großen Konzertsaal fühle ich meistens sehr deutlich wann jener Moment gekommen ist, in dem mehrere tausend Zuhörer wirklich eins mit mir sind. Das ist der Augenblick in dem man das Gefühl hat, nicht in der Luft, sondern in der Musik selbst zu schweben - ein wunderbares Gefühl.
Streichinstrumente antworten nicht immer, noch nicht einmal bei einem sehr guten Interpreten. Sie unterliegen oft Launen. Ich sagte schon, wie abhängig wir sind von Luftfeuchtigkeit und Temperatur, Luftdruck und dem Wetter im Allgemeinen.

Sie haben es sicher schon einmal erlebt, dass eine ansonsten sehr gut gespielte Geige nicht antwortet, oder dass einige Noten nicht klar sind, oder Sie das Gefühl haben, der Interpret hätte die Note nicht richtig getroffen. Vielleicht hat er ja den Finger seiner linken Hand nicht fest genug aufgedrückt. Manchmal ist der Fehler auch auf die rechte Hand zurückzuführen, dann würde ich sagen, der Spieler hat den Bogen nicht an der richtigen Stelle auf die Saiten aufgesetzt. Er fand nicht den haargenauen Berührungspunkt, denn es gibt viel Platz - sehr viel Platz! - zwischen dem Griffbrett und dem Steg. Welche Stelle auf den Saiten die richtige ist hängt von der Geschwindigkeit der Bogenführung ab oder davon, ob man piano oder forte spielen möchte, ob die Noten lang oder kurz sind.

Manchmal jedoch antwortet die Saite einfach nicht, auch bei korrektem Verhalten des Geigers. Es kann an der Qualität der Saite liegen, aber es können auch tausend andere Gründe sein.
Eine Geige ist wie eine Frau, sie möchte nicht geteilt werden und sie will oft gespielt sein.
Die Geige ist wie eine herrliche Frau; sie hält diesem Vergleich stand in tonaler, ästhetischer und ethischer Hinsicht. Sie muss entsprechend behandelt werden. Jede Art von Zuneigung und zärtlichen Handlungen ist erlaubt, bis hin zur festen Umarmung. Wenn ich sage eine Geige umarmen, so meine ich damit meistens das Spielen in hohen Lagen, wenn der Druck der linken Hand beträchtlich sein muss. Wenn man in hohe Lagen kommt ist es, als würde man eine Frau im rein bildlichen Sinne umarmen. Um es kurz zu fassen: ich denke alles ist erlaubt, außer seine Geige zu vergewaltigen.
Die Geige ist eine sehr eifersüchtige Geliebte. Ich würde es vorziehen, die Geliebte "Gattin" zu nennen, denn zwischen Geige und Geiger besteht eine so heilige Kameradschaft, dass ich es eher als eine Ehe empfinde. Ich bin das beste Beispiel: Ich spiele auf meiner Guarnerius del Gesù, Cremona 1743, der "Leduc" jetzt seit über 25 Jahren. Ich habe viele wunderschöne Guarneri Geigen in den Händen von Geigenbauern oder berühmten Kollegen gesehen und kann wirklich nicht sagen, dass ich jemals gedacht habe, ich könnte mit einer anderen Geige als meiner besser spielen oder einen schöneren Ton erzeugen.

Manchmal wenn ich das Gefühl habe, mit der Geige stimmt etwas nicht und ich sollte sie zum Geigenbauer bringen, jedoch Niemand in der Nähe oder erreichbar ist, mache ich eine wunderbare Erfahrung: es genügt mit der Geige zu arbeiten und Dinge, von denen ich dachte sie waren nicht ganz in Ordnung, kommen langsam wieder ins Lot. Wie oft habe ich ein Konzert gegeben ohne dass ich die Geige zum Spezialisten habe bringen können, damit dieser sie klebt oder den Steg korrigiert - nur weil ich geübt habe.

Es spielt keine Rolle ob man viel oder wenig übt, man darf nur sein Instrument nicht im Stich lassen. Die Geige ist eifersüchtig und ihre Liebe ist ausschließlich. Die Geige hasst es alleine gelassen, nicht gespielt zu werden. Der einzige Vergleich der mir dazu einfällt ist: es ist wie die Liebe zu einem sehr lieben Menschen. Man kann ihn nicht "dann und wann" lieben.